„Benutzeroberflächen sind wie Witze: Wenn man sie erklären muss, sind sie nicht besonders gut“ (Steve Krug). Aber wie genau entstehen eigentlich gute Oberflächen und Anwendungen? Welche Rolle spielen sie für den Erfolg eines Produktes und warum ist Design-Thinking so wichtig in weiten Unternehmensbereichen?
Wir haben mit UI-/UX-Designerin Désirée Triemer über Möglichkeiten und Grenzen von UX-Design gesprochen und ihr u.a. bei den Themen Inspiration, Methodik und KI auf den Zahn gefühlt.
Liebe Desi, definiere für uns UX-Design in drei einfachen Sätzen.
UX-Design befasst sich mit der Kreation eines bestmöglichen Nutzerlebnisses. D.h., es geht darum, Anwendungen und Oberflächen zu schaffen, die der User gern nutzt, die er intuitiv und ohne Erklärungen bedienen kann und die sowohl seine Emotionen ansprechen als auch seine Bedürfnisse befriedigen. UX-Design umfasst dabei alle Aspekte, die bei der Neuentwicklung oder Optimierung von Anwendungen eine Rolle spielen – z.B. Analyse und Research.
Im Gegensatz zu haptischen Produkten kann man digitale Produkte nicht anfassen, riechen oder schmecken. Wie schafft man es mit UX-Design dennoch die Emotionen der User zu wecken?
Da gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten, z.B. Bildsprache, Farbgebung oder Gamification. Welche Methode dabei zum Einsatz kommt, hängt stark vom jeweiligen Produkt oder der Dienstleistung ab. Die entsprechende Zielgruppe muss einfach abgeholt werden. Greifen wir mal das Beispiel Gamification heraus. Im Jahr 2014 hat Google mit dem Pixel T-Rex einen riesigen Coup in Sachen User-Experience gelandet. Die simple Idee: Anstelle eines leeren Bildschirms mit einer Fehlermeldung erscheint ein einfaches Jump’n’Run mit monochromer Grafik, sobald kein Internet verfügbar ist. Statt sich also über die fehlende Verbindung zu ärgern, kann der Chrome-User die Zeit überbrücken, indem er einen verpixelten Dino durch die Wüste führt und verschiedene Lebewesen überspringen, unterwandern oder ihnen ausweichen muss. Einfach und doch so großartig!
Wie näherst du dich als UX-Designerin methodisch einem neuen Projekt?
An erster Stelle steht immer das Evaluieren von Problemen, die der Auftraggeber lösen will. Ich muss im Projekt-Kickoff oder Kundentermin zunächst einmal verstehen, wo der Schuh drückt, um Lösungsansätze zu erarbeiten. Anschließend folgt eine – je nach Zeit- und Budgetrahmen mehr oder weniger ausführliche – Researchphase. Hier nutze ich u.a. die Möglichkeit, mit Kunden oder Usern ins Gespräch zu gehen, verwende Interviews oder qualitative Umfragen. Basierend auf den daraus gewonnenen Ergebnissen erstelle ich erste Designs, die iterativ den Stakeholdern und Auftraggebern vorgestellt werden. Nun wird gemeinsam abgewogen, was die beste Version für die Zielgruppe ist. Oft unterscheidet sich dabei der persönliche Geschmack deutlich vom erlernten Verhalten oder Bedürfnissen der Zielgruppe. Ich kann es beispielsweise rein ästhetisch deutlich attraktiver finden, den „Schließen Button“ links oben anzuordnen. Wenn die Mehrheit der Nutzer in Windows – bei einzelnen Anwendungen aber auch in Mac – gewohnt ist, dass sich der Button rechts oben befindet, ist die beste Anordnungsversion für die Zielgruppe eben rechts oben.
Das ist übrigens auch eine der größten Herausforderungen im Bereich UX-Design: Zwischen persönlichem Empfinden und tatsächlichen Erfahrungen zu unterscheiden.
Wann ist die User-Experience gut und wie lässt sich das überhaupt messen?
Ein gutes Nutzererlebnis zeichnet sich ganz klar dadurch aus, dass ich eine Anwendung problemlos bedienen kann, ohne darüber nachdenken zu müssen oder vorab eine Bedienungsanleitung zu lesen.
Das Thema Messbarkeit hingegen ist oftmals nicht ganz so klar. Es existieren zwar verschiedene Tools und auch Frameworks, welche eine Sammlung von UX-Skalen beinhalten, mit denen es möglich ist, auf die Erfordernisse des zu evaluierenden Produkts einzugehen und einen passenden Fragebogen zu erstellen. Diese Ergebnisse liefern auch vergleichbare Kennzahlen sowie die Einordnung anhand einer Gewichtung der abgefragten Aspekte. Das heißt, Messbarkeit ist gegeben, bleibt gleichsam aber auch vage, da zum Vergleich immer dieselben Personen befragt werden müssten und die Bewertung zudem auf einer persönlichen Einschätzung beruht. Ein richtig oder falsch im mathematischen Sinne gibt es also nicht. Anders sieht es beim Thema Barrierefreiheit von Webseiten und Anwendungen aus. Hier lässt sich die User-Experience eindeutig messen.
UX-Design ist teilweise sehr buzzword-lastig. Was sind deiner Meinung nach die schlimmsten Schlagworte und warum?
Das ist eine gute Frage, denn leider kommt es im Austausch zwischen UX-Designern, Product Ownern und Produktentwicklern immer wieder vor, dass die Beteiligten aneinander vorbeikommunizieren. Ein Beispiel: UX-Design bedient sich verschiedenen grafischen Darstellungsmöglichkeiten – je nach Kundenanforderung und Workload. Leider werden die verschiedenen Begrifflichkeiten wie Screens, Sketches, Wireframes, Mockups, Clickdummies oder auch Prototypen oftmals synonym benutzt, obwohl sie nicht dasselbe meinen und unterschiedliche Aufwände dahinterstehen. Das sorgt immer wieder für Frustration.
Für mich persönlich sind auch Aussagen wie „Mir gefällt das hier besser“ oder „Ich finde diese Version schöner“ ganz besonders schlimm. Denn genau darum geht es ja im UX-Design eben nicht – um die eigene Meinung, sondern um bestmögliche Usability.
Warum spielt Design-Thinking in Unternehmen eine wichtige Rolle und von welchen Unternehmensbereichen wünschst du dir mehr Awareness für UX-Design?
Design-Thinking ist gerade im digitalen Bereich so wichtig, weil die Belange der Nutzer wahrgenommen und berücksichtigt werden müssen. Es spielt eine bedeutende Rolle, dass nicht nur der Service, sondern vor allem das Produkt selbst direkt auf die Zielgruppe zugeschnitten ist. Es ist eine einfache und plakative Tatsache, dass eine Anwendung nicht genutzt wird, wenn das UX-Design schlecht ist – es sei denn, es gibt keine andere Alternative. Sobald Mitbewerber smartere Nutzererlebnisse bieten, ist das eigene Produkt nicht mehr wettbewerbsfähig. Deshalb muss Awareness vor allem in der Geschäftsleitung vorhanden sein.
Was inspiriert dich bei deiner Arbeit?
Das ist je nach Projekt unterschiedlich. Oft stelle ich mir die Frage: Wo habe ich ein ähnliches Problem schon einmal gesehen? Wer hat einen vergleichbaren Prozess bereits digital umgesetzt? Manchmal lässt man sich von Branchenkollegen inspirieren, manchmal liefern aber auch interessante Menschen, die mit der eigenen Branche zwar gar nichts zu tun haben, mich aber durch ihre Persönlichkeit beeindrucken, hilfreiche Impulse. Und ganz, ganz oft ist die beste Inspiration laute Musik – z.B. von Deichkind.
Wie challengst du deine Entwürfe?
Indem ich versuche, eine andere Perspektive einzunehmen und mir auch mal Feedback außerhalb der Zielgruppe einhole. Natürlich frage ich meine Kollegen aus dem Design-Circle um Rat, aber auch andere Personen, die mir weitere Blickwinkel eröffnen. Mein Kollege Andreas Tischer aus dem Backend-Team – um mal einen besonderen Sparringspartner zu benennen – betrachtet die Dinge beispielsweise in ganz besonderem Licht und hat immer wertvolle Ratschläge. Das hilft mir enorm.
Kannst du ein konkretes Beispiel für eine besonders gelungene User-Experience nennen und begründen?
Da fällt mir sofort Airbnb ein. Hier trifft intelligenter Aufbau eine coole Optik und tolle Angebote. Es macht einfach richtig Spaß, sich durch die Anwendung zu klicken. Besonders gelungen finde ich hier auch die eigene Library „Lotti“, die After Effects Animationen in Echtzeit rendert. Damit können Animationen z.B. einfacher in Apps abgespielt werden.
Was ist deiner Meinung nach ein besonders schlechtes Beispiel und warum?
Definitiv die App „Leipzig Move“ von den Leipziger Verkehrsbetrieben. Dort sind einige Prozesse nicht gut aufeinander abgestimmt. Ein Beispiel: Man möchte vom aktuellen Standort aus ans Ziel XY reisen und gibt dafür im Feld „Ziel“ die Wunschdestination ein. Statt als Endpunkt wird das eingegebene Ziel jedoch als Startpunkt übernommen. Das nervt gewaltig. Auch an einigen anderen Stellen der Applikation muss man unnötige Klicks tätigen, um an die gewünschte Information zu gelangen. Da ist UX-technisch deutlich Luft nach oben.
Wo siehst du die Zukunft von UX-Design oder anders gefragt – kann KI auch UX?
Tatsächlich liefert KI Stand heute schon einen gelungenen „ersten Aufschlag“ für Projekte, zum Beispiel erste Designs. Aber KI kann – zumindest zum aktuellen Zeitpunkt – menschliches UX-Design nicht ersetzen. Warum? Weil UX-Design von Emotionalität und Beobachtung lebt. Es ist derzeit nur schwer möglich, individuelle Prozesse digital zu adaptieren, u.a. weil die detaillierten Prozessbeschreibungen dafür noch fehlen und Unternehmen nicht immer imstande sind, die sehr abstrakten Briefings zu erstellen.
Du hast mittlerweile viele Jahre Berufserfahrung gesammelt und schaust auf eine Vielzahl erfolgreich abgeschlossener Projekte zurück. Was würdest du mit deinem heutigen Erfahrungsstand der Berufsanfängerin Desi mit auf den Weg geben?
Vertritt deinen eigenen Standpunkt und belege ihn fachlich! Es war ein großer Lernprozess für mich, mich nicht von den persönlichen Meinungen der Stakeholder beeinflussen zu lassen. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt für alle Berufsanfänger in dem Metier: Bei UX-Design geht es nicht um die persönliche Meinung zu ästhetischen Fragestellungen, sondern um das Wissen über Nutzererwartungen und ausgewertetes Nutzerverhalten.