Wie stellen IT-Unternehmen eigentlich sicher, dass ihre Softwarelösungen rund laufen? In der neuesten Ausgabe von „FIO fragt…“ sprechen wir mit Softwaretester Alexander Hermann über einen unterschätzten Aufgabenbereich, Testmethoden, persönliche Fokusstrategien und darüber, warum sich Pingeligkeit in der QA auszahlt.
1. Du arbeitest seit 2021 als Softwaretester für das Produkt FIO Account. Was sind dabei deine Kernaufgaben?
Meine Kernaufgaben sind das Prüfen aktueller Issues, das Schreiben von manuellen Testfällen, die Dokumentation von Fehlern oder Verbesserungsmöglichkeiten und das manuelle Testen unserer Anwendung vor einem Update. Auf den Punkt gebracht: Meine wichtigste Aufgabe als QA’ler ist nörgeln 😉
2. Warum ausgerechnet Softwaretester und nicht UX-Designer oder Produktentwickler? Was hat dich an der Aufgabe gereizt?
Während meines Bachelorstudiums der Medientechnik und meines anschließenden Masters in Medienmanagement durfte ich in viele verschiedene Bereiche hineinschnuppern – von Softwareentwicklung und UI-Design über AV-Technik und Marketing bis hin zu BWL und Management. Jeder Bereich hat seine eigene Sprache und wenn man Abteilungsübergreifend miteinander arbeiten muss, kommt es schnell zu Missverständnissen. Da ist es gut jemanden zu haben, der zwischen den Stühlen sitzt, eine Art Mediator. Diese vielfältige Position hat mich sehr gereizt.
Außerdem konnte ich parallel zu meinem Studium als Werksstudent erste praktische Erfahrungen im Software Testen sammeln. Es hat mir viel Freude gemacht, als Mittler und Problemlöser zwischen dem Developer- und dem Produktteam zu agieren.
3. Was ist die größte Herausforderung in deinem Daily Business?
Ich würde sagen: Alles im Blick zu behalten. FIO Account ist eine sehr komplexe Anwendung mit vielen Seiten, Features und Abhängigkeiten. Jedes Mal, wenn es darum geht, ein neues Feature zu testen oder zu prüfen, ob ein Bug behoben wurde, muss man sich vorher einen Plan machen, was man wie testen möchte und wie man die Grenzen der Applikation ausloten kann.
Parallel dazu muss man bei jeder Änderung und jeder neu hinzugefügten Option die Testfälle im Kopf behalten. Diese müssen ständig erweitert und geupdated werden. Sie sind quasi unser Sicherheitsnetz, um auszuschließen, dass eine Änderung an Punkt A zu neuen Problemen an Punkt B führt und das alle Elemente dort sind, wo sie hingehören.
4. Was ist deiner Meinung nach die wichtigste Fähigkeit, die ein Softwaretester benötigt und die du natürlich mitbringst?
Wie eingangs bereits erwähnt nörgeln: Meckern 😉 Oder anders ausgedrückt: Ein gutes Auge. Manchmal gehört es zum Job dazu, Pixel zu zählen. Dafür braucht man viel Geduld – noch eine wichtige Eigenschaft und einen guten Blick für Details, um auch kleinste Abweichungen von den Spezifikationen zu entdecken.
5. Welche Rolle spielt deiner Meinung nach das Testing für den Gesamterfolg eines Softwareunternehmens wie FIO?
Eine sehr wichtige Rolle. Egal wie talentiert oder erfahren die Entwickler beim Programmieren sind oder wie minuziös das Produktteam Spezifikationen ausarbeitet, es gibt immer den Faktor Mensch. Gerade bei sehr komplexen Issues schleicht sich irgendwann die Betriebsblindheit ein. Man übersieht z.B. einen Rechtschreib- oder Logikfehler und wenn der Entwickler diesen dann ebenfalls übersieht, kann es schnell passieren das ein fehlerhafter Text an unsere Kunden ausgeliefert wird. Sowas ist immer ärgerlich und kann, wenn es häufiger passiert ein schlechtes Licht auf das Produkt und das Unternehmen werfen.
6. Du hast beim Testen einen Fehler gefunden. Wie geht es nun weiter? Wie kommunizierst du mit den Entwicklern?
Wenn ich einen Bug bemerke, recherchiere ich zunächst, ob er bereits in der Vergangenheit reported wurde. Wenn er bereits behoben wurde und nun erneut auftaucht, kann ich im neuen Issue auf den alten referenzieren.
Ist es ein neues Problem, dokumentiere ich die genauen Schritte und Voraussetzungen, die es braucht, um ihn zu reproduzieren. Danach ist es an unseren Entwicklern den Aufwand zu schätzen und den Issue abzuarbeiten. Nachdem er gefixt wurde, landet der Issue wieder bei mir und ich muss nun testen, ob ich ihn immer noch reproduzieren kann oder er behoben wurde.
7. Wirst du in deiner Funktion bereits frühzeitig in Entwicklungsvorhaben und die Feature-Planung einbezogen? Bzw. kannst du aktiv Einfluss auf die Weiterentwicklung von FIO Account nehmen?
Ein klares JEIN. Roadmap und Feature-Planung sind im Allgemeinen Aufgabe des Produktteams. Wenn es aber darum geht, ein beschlossenes Feature umzusetzen, bin ich ab der Issue-Erstellung eingebunden.
8. Kannst du dich an einen besonders kniffligen Bug erinnern, den du einmal gefunden hast?
Wir hatten immer mal vermeintlich kleine Issues, die am Ende sehr viel komplexer waren, aber ein bestimmtes Beispiel kommt mir momentan nicht in den Sinn. Woran ich mich aber noch sehr gut erinnern kann, ist das Gebührentool in FIO Account. Dafür habe ich von September 2023 bis Februar 2024 insgesamt 1.300 manuelle Testfälle geschrieben. Für die schriftliche Dokumentation aller Testfälle habe ich allein 3 Arbeitstage benötigt.
9. Wie stellst du bei deiner Arbeit sicher, dass du alle Aspekte der Anwendung auf Herz und Nieren geprüft hast?
Mit Erfahrung, viel Wissen über die Anwendung, Geduld und dem nötigen Maß an Pingeligkeit. Zusätzlich helfen automatische Tests.
10. Hat sich die Rolle des Softwaretesters in den letzten Jahren verändert? Wenn ja, warum?
Meiner Meinung nach ist die Position bedeutender geworden bzw. wird als bedeutender wahrgenommen. Der Softwaremarkt wird immer größer, internationaler und diverser, die Konkurrenzsituation wächst. IT-Unternehmen können sich schlechte Qualität schlichtweg nicht leisten.
11. Welche Rolle spielen Automatisierungstools in deinem Arbeitsalltag? Und hat sich durch deren Einsatz deine Arbeit verändert?
Im Vergleich zum aktuellen KI-Hype gibt es Testautomatisierung im QA-Bereich schon sehr viel länger als 1,5 Jahre. In unserem Team ist mein Kollege Marcel Experte dafür. Über die Jahre hat er tausende von Testfällen automatisiert und damit eine sehr gute Abdeckung über die komplette Anwendung erreicht, die uns das Arbeiten enorm erleichtert. Hätten wir keine automatisierten Tests, wären wir in unserer Updatefrequenz sehr viel langsamer, denn ich müsste mich nach der Verifizierung des letzten Issues für ca. 4 Wochen einschließen, um einmal alles komplett testen zu können– und das für jedes einzelne Update.
12. Wie hältst du dich zu neuesten Technologien und Testmethoden auf dem Laufenden?
Mein Kollege Marcel ist ein sehr guter Sparringspartner. Wir tauschen uns sehr viel zu Methoden aus und er teilt sein umfassendes Fachwissen bereitwillig mit mir. Außerdem habe ich unterschiedlichste Newsletter abonniert, durch die ich regelmäßig auf neue Fachartikel und Präsentationen hingewiesen werde, besuche Fachkonferenzen und habe erst letztes Jahr eine Weiterbildung gemäß den Standards des ISTQB (International Software Testing Qualifications Board) abgeschlossen. Und natürlich hilft auch der ein oder andere Blick ins Fachbuch.
13. Wie bleibst du bei der Arbeit fokussiert?
Ich mache beim Testen pro Stunde 5 bis 10 Minuten Bildschirmpause, das hilft ungemein. Wenn ich nicht daran denke, erinnert mich mein Kater Whisky daran, Pause zu machen. Ihn mit Streicheleinheiten und Snacks zu versorgen, ist eine zweite Methode, um den Fokus zu behalten. Je nach Aufgabe hilft es mir auch, nebenher Musik zu hören oder zwischenzeitlich am Schreibtisch zu stehen.
14. Du lebst sozusagen im Code. Was macht dir in der analogen Welt Freude? Woraus schöpfst du abseits von der Technik neue Energie?
Sport und Spaziergänge mit meiner Freundin helfen mir dabei, im Alltag etwas runterzukommen. Darüber hinaus beschäftige ich mich gern mit unserem Kater, lese, höre Podcasts, baue Legosets auf, treffe mich mit Freunden und koche sehr gerne.
15. Büro-Hund oder Homeoffice-Katze?
Am liebsten beides, aber momentan ist es mein Homeoffice Kater Whisky. Irgendwann soll dann noch ein Emotional-Support Axolotl dazu kommen.
16. Gibt es zum Abschluss einen besonderen Softwaretester-Gag, den du gern mit uns teilen möchtest?
„Wie viele Softwaretester braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? Keinen, das ist ein Hardwareproblem!“