Finance Industry

Die Situation am Immobilien- und Finanzmarkt – Interview mit Ronald Slabke und Nicolas Schulmann

Am 10. Mai sprach Hypoport CEO Ronald Slabke auf der Finance Forward 2023 mit FIO Vorstand Nicolas Schulmann über die aktuelle Situation am Immobilien- und Finanzmarkt. Themen u.a.: die Entwicklung der Kreditwirtschaft in den letzten 12 Monaten, Parallelen zur Bankenkrise 2008 und aktuelle politische Herausforderungen. Hier gibt es das vollständige Interview zum Nachlesen.

Wie hat sich die Kreditwirtschaft insbesondere im letzten Jahr verändert? Wie hat sich das Zinsumfeld auf die Branche ausgewirkt?  

Ronald Slabke: Die gesamte Kreditwirtschaft hat sich in den letzten 12 Monaten dramatisch verändert: Zuerst ist das langfristige Zinsniveau gestiegen, was vor allem die Baufinanzierung und das eine oder andere Firmenkundengeschäft hart getroffen hat. Danach wurde das kurzfristige Zinsniveau von der Zentralbank angehoben, was wiederum deutliche Auswirkungen auf das Einlagengeschäft hatte. Geschäftsmodelle, die noch vor 12 Monaten gut funktionierten, gingen plötzlich nicht mehr auf. Dafür wurden andere Geschäftsmodelle für die Bankenindustrie sehr erfolgreich.  

Heute ist es einfach, kurzfristige Geldanlagen bei der EZB zu deponieren und damit eine Marge zu generieren – etwas, das noch vor einem Jahr undenkbar war. Dafür ist es demgegenüber sehr schwer geworden, langfristig Geld zu leihen, weil sowohl Verbraucher als auch Firmenkunden sehr zurückhaltend sind. Das hohe Zinsniveau ist ein Schock für die gesamte Ökonomie. Deshalb ist gerade langfristiger Kreditbestand etwas sehr Elementares für die Banken, um auch in der angespannten Situation weiterhin Umsätze zu generieren. Und genau das ist eine der Kernkompetenzen von Hypoport: Wir generieren und digitalisieren seit 20 Jahren langfristiges Kreditgeschäft. 

Nicolas Schulmann: Ich kann Ronalds Einschätzung bestätigen: Ich habe heute Morgen als Referent an der digiKonREAL 7.0 teilgenommen und dort als Grundtenor die Sorge wahrgenommen, dass Immobilien-Interessenten in großen Scharen wegbrechen. Offenbar sind die Menschen aktuell noch nicht bereit, sich auf das neue Zinsniveau einzustellen, und können sich nicht daran gewöhnen, dass das gleiche Stück Haus nun das Doppelte kostet wie vorher. Doppelt bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass sich die Preise tatsächlich verdoppelt haben, sondern vielmehr die Bonitäten. Stand heute werden 90 % der Kreditanfragen abschlägig behandelt. Das ist ein Niveau, was es zuletzt in der Finanzkrise gab. 

Ronald Slabke: Genau das ist das Problem: Sowohl Verbraucher als auch die Industrie müssen sich an neue Rahmenbedingungen anpassen. Leider ist aber gerade die Industrie bislang wenig kreativ und bietet noch immer die gleichen Produkte an wie vor der Krise. In der Kreditwirtschaft sind wir dort schon einen Schritt weiter und arbeiten daran, dem Verbraucher den Weg zur Kreditvergabe zu erleichtern. Es braucht Lösungen und gute Beratung. Kreditabsagen helfen weder dem Verbraucher noch der eigenen Bilanz. 

 

Gibt es Parallelen zur Bankenkrise 2008? Lassen sich Lehren von damals auf die aktuelle Situation übertragen? 

Ronald Slabke: Im Jahr 2008 haben wir gelernt, dass es sehr riskant ist, auf dem Kapitalmarkt nur eine Fundingquelle zu haben. Die Industrie hat darauf unter anderem mit dem Einsatz von Plattformen reagiert und so dafür gesorgt, dass in ihrem eigenen Vertrieb mehr als nur eine Fundingquelle verkauft werden kann. Davon profitiert die Industrie faktisch jetzt schon, denn die veränderten Rahmenbedingungen und die Wettbewerbsfähigkeit der unterschiedlichen Geldquellen sorgt für deutlich mehr Flexibilität. Dennoch könnten wir 10 Jahre nach der Finanzkrise deutlich weiter sein. Die Learnings waren da, aber wir müssen die Kapitalströme der Industrie noch flexibler gestalten, das ist gerade unser wichtigstes To-do. 

Nicolas Schulmann: An dieser Stelle kann ich ein bisschen Schleichwerbung für FIO machen: Unser Produkt FIO Account bietet eine Lösung, mit der sich effektiv Passivgeschäft generieren lässt – strukturiert für die Banken und völlig unabhängig vom Kapitalmarkt. Firmenkunden sind hierbei eine der stabilsten Geldquellen für Regionalbanken. 

 

Welche politischen Auswirkungen gibt es derzeit auf die Kreditwirtschaft?  

Ronald Slabke: Beim Thema Politik denke ich aktuell vor allem daran, wie sich die Wärmewende auf die Planungssicherheit für Verbraucher, aber auch auf den gesamten Wohnungsmarkt auswirkt. Wohnraum ist neben der Wärmewende ein weiteres zentrales Thema. Wir haben im vergangenen Jahr 1,5 Millionen Menschen in Deutschland aufgenommen und werden auch dieses Jahr Hunderttausende Menschen aufnehmen. Das ist absehbar eine Katastrophe. Deshalb müssen wir jetzt mit der Kreditwirtschaft sprechen, Prozesse verschlanken und optimieren. Wir müssen Rahmenbedingungen auf politischer Seite schaffen, damit das benötigte Geld der Bankindustrie zur Verfügung gestellt werden kann, um die Probleme im Wohnungsmarkt zu lösen.  

Nicolas Schulmann: Im Moment haben wir eine Multikrise, weil es so viele Teilaspekte gibt. Wir haben den Ukraine-Krieg, die Zinswende, die Nachwirkung der Coronakrise in Form drastisch gestiegener Staatsschulden und last but not least die Spannungen mit China, die auch zu einem Eindampfen der Lieferketten dorthin führen. All das belastet die Weltwirtschaft enorm. Die Auswirkungen spüren wir an unterbrochenen Lieferketten, Embargos und strategischen Neuorientierungen u. a. beim Thema Rohstoffe. Jeder dieser Aspekte wirkt sich unmittelbar auf Firmen und Verbraucher aus. 

 

Wie reagiert Hypoport auf die Krise? Wie vielseitig ist der Konzern aufgestellt, um den zahlreichen Herausforderungen zu begegnen? 

Ronald: Innerhalb von Hypoport versuchen wir, basierend auf den Grundbedürfnissen von Menschen, gewisse Geschäftsprozesse zu digitalisieren. Wohnen und Wohneigentum sind dabei zentrales Thema. Daneben gibt es aber auch das Firmenkundengeschäft und dort speziell die Kapitalversorgung. Im Segment Versicherungen sorgt vor allem der Informationsaustausch zum Thema Risiken und besondere Ereignisse dafür, unsere Gesellschaft nachhaltig widerstandsfähiger zu machen. Unser Ziel ist es, Prozesse transparenter, effizienter und billiger zu machen, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Gesellschaft relativ zu den Autokratien zu erhöhen.  

Nicolas hat die großen geopolitischen Themen erwähnt. Wir als – man nennt uns jetzt gern „den Westen“ – müssen im politischen System wettbewerbs- und widerstandsfähig sein. Gerade die Digitalisierung bietet dafür riesige Chancen. Umso effizienter unsere Kredit- und Versicherungswirtschaft ist, desto erfolgreicher kann die Industrie sein, die darauf aufbaut. Indem wir Geld sparen, Transaktionen beschleunigen und wirksamer absichern, agieren wir freier und können besser Probleme lösen. 

 

Was ist neben Digitalisierung noch wichtig, um sich den Herausforderungen der Märkte anzupassen? 

Nicolas Schulmann: Wichtig ist vor allem, dass Digitalisierung nicht nur ein Buzzword bleibt, sondern auch mit konkreten Inhalten gefüllt wird. Auch das Thema KI wird fast jede Branche nachhaltig verändern. Kleiner Exkurs: Wir sind gerade auf der OMR. Ich wette, dass die OMR nächstes Jahr ein völlig anderes Gesicht haben wird als dieses Jahr. Das ist schon mal eine kleine Voraussage. KI wird vor allem auch die Bankenwelt entlang der gesamten Wertschöpfungskette treffen.  Es ist eine superspannende Zeit, in der wir gerade leben. 

 

Wie sieht die Zukunft der Kreditwirtschaft aus?  

Ronald Slabke: Ich finde das Thema KI sehr spannend. Die möglichen Veränderungen an der Kundenschnittstelle sind vielfältig, die Automatisierung der Prozesse, die wir damit erreichen können, riesig. Für die Akteure, die das Potenzial von KI nicht rechtzeitig erkannt haben, wird es sehr schwer, diesen Rückstand wieder aufzuholen. Wer im Wettlauf um erfolgreiche Algorithmen vorn mitmischen will, sollte zeitig loslaufen. Im Hinblick auf den Wohnungsmarkt muss die Industrie einen Beitrag dafür leisten, dass Verbraucher sich Wohnungen in Deutschland leisten können. Außerdem gilt es, Produktinnovationen parallel zur Digitalisierung zu treiben. 

Nicolas Schulmann: Wir haben die letzten 3 Jahre intensiv im KI-Bereich gearbeitet und einige Produkte für den Bankenbereich bereits letztes Jahr auf der Bits & Banks vorgestellt. Auch im zweiten Halbjahr richten wir den Fokus auf KI-integrierte Prozesse. Es bleibt also spannend. 

  

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